Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist ein zentrales Anknüpfungskriterium im Steuerrecht, im Sozialrecht sowie im internationalen Privatrecht. Während der Wohnsitz im Sinne des § 8 AO an eine feste Wohnung und deren tatsächliche Nutzung anknüpft, bestimmt sich ein gewöhnlicher Aufenthalt nach § 9 AO durch das tatsächliche Verweilen einer Person an einem Ort unter Umständen, die erkennen lassen, dass dieser nicht nur vorübergehend ist. Die Abgrenzung hat erhebliche praktische Relevanz, insbesondere bei der Frage der unbeschränkten Steuerpflicht natürlicher Personen (§ 1 Abs. 1 EStG) sowie bei der Bestimmung von Zuweisungsnormen in Doppelbesteuerungsabkommen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt bildet somit eine flexible, aber zugleich komplexe steuerliche Anknüpfungsnorm, die in einer globalisierten und zunehmend mobilen Welt immer mehr an Bedeutung gewinnt.
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Wie ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet oder beendet wird, erfahren Sie ergänzend im nachstehenden Video:
Gewöhnlicher Aufenthalt beenden
Es gibt zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Möglichkeiten, wie ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland beendet wird:
- Durch Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts an anderer Stelle
- Durch tatsächliches Verlassen des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts ohne Rückkehrabsicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums
Ein gewöhnlicher Aufenthalt kann immer nur an einem Ort begründet wird. Ein gewöhnlicher Aufenthalt wird immer dann aufgegeben, wenn ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt an anderer Stelle begründet wird.
Wie wird ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet?
Ob ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland begründet wird, orientiert sich an den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Folgende Umstände müssen dafür unbedingt berücksichtigt werden:
- Eine Ausreise führt nur dann zur Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, wenn eine kurzfristige Rückkehr nicht beabsichtigt oder wahrscheinlich ist
- Bei einem Auslandsaufenthalt von mehr als einem Jahr kann nur noch ausnahmsweise ein inländischer gewöhnlicher Aufenthalt bejaht werden
Wie kann ein gewöhnlicher Aufenthalt nachgewiesen werden?
Ein gewöhnlicher Aufenthalt kann wie folgt nachgewiesen werden:
- Reisekalender mit entsprechenden Reiseunterlagen
- Teilnahme am sozialen Leben im jeweiligen Staat (Vereinsmitgliedschaften u.ä.)
- Nachweis von Lebenshaltungskosten
Gewöhnlicher Aufenthalt und 183-Tage-Regelung
Auch wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt aufgrund tatsächlicher Umstände nicht im Inland nach § 9 S. 1 AO begründet wird, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland (fiktiv) immer anzunehmen (aus Vereinfachungsgründen), wenn der Inlandsaufenthalt zeitlich zusammenhängend länger als sechs Monate dauert (§ 9 S. 2 AO).
Der zeitliche Zusammenhang bleibt nach § 9 S. 2 2. HS AO gewahrt, wenn lediglich kurzfristige Unterbrechungen eintreten. Auch kommt es nicht darauf an, dass die Sechs-Monatsfrist voll in ein Kalenderjahr oder einen anderen Zeitabschnitt fällt. Mehrere kurzfristige Aufenthalte im Inland genügen den Voraussetzungen jedoch mangels zeitlichen Zusammenhangs nicht.
Fazit zum gewöhnlichen Aufenthalt
Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach Maßgabe des § 9 AO mehr als nur an die 183-Tage-Regelung geknüpft. Er ist ein zentrales Anknüpfungskriterium, der nicht an formale Strukturen gekoppelt ist. Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist immer anhand der tatsächlichen Lebensumstände zu ermitteln. Gerade bei internationalen Sachverhalten – etwa bei längeren Auslandsaufenthalten, doppelten Wohnsitzen oder bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten – kommt seiner korrekten Bestimmung erhebliche Bedeutung zu. Für Steuerpflichtige und Berater ist es daher unerlässlich, die Kriterien der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis genau zu kennen und frühzeitig in die steuerliche Planung einzubeziehen. Ein klar definierter gewöhnlicher Aufenthalt schafft nicht nur Rechtssicherheit, sondern vermeidet auch Doppelbesteuerungsrisiken.
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